Als es noch Schafe in Gifkendorf gab … und wie es zum Ende kam.
Die Schafzucht war immer ein wichtiger Bestandteil des Lebens auf dem Dorf gewesen. Zum einen konnten die Schafe auf Heideflächen weiden, die im Allgemeinen ausreichend vorhanden waren. Die Schafhaltung produzierte wertvollen Dünger, der für die Ackerflächen nötig war. Die Schafwirtschaft war ebenfalls wichtig, weil durch den Verkauf von Tieren, Fleisch und Wolle Bargeld auf die Höfe kam und schließlich spielte die Schafhaltung eine wichtige Rolle in der Altersversorgung. Wenn ein Hofbesitzer „in Rente“ ging, bekam er häufig eine Anzahl von Schafen zugeteilt, deren Wolle ihm die nötigen Einkünfte im Alter brachte. Der gesamte Viehbestand des Dorfes war bis zur Mitte des 19. Jhs einem oder zwei Dorfschäfern anvertraut. 1840 bestand die Dorfherde aus ca. 400 Köpfen (Hof 1/22: 40 Schafe, 2/24: 80, 3/38: 60, 4/28: 30, 5/61: 90, 6/69: 80). Die Bauern benutzten die Dienste eines Hofschäfers, der sich um die ganze Herde kümmerte. Es wurde ihm ein Haus (Hirtenhaus, dann Gemeindehaus ) zur Verfügung gestellt. Er war eine Respektperson im Dorf, fast genau wie die Bauern.
Im 20. Jh. sank der Viehbestand nach und nach. Wir besitzen detaillierte Informationen über die Viehzucht im Dorf zu Beginn des 20. Jhs dank Hof 5/61. Der Hof besaß zu dieser Zeit ca. 70 Schafe. Er verfügte, wie es üblich war, über einen Hofstall und einen Außenstall, der sich entlang der Straße nach Solchstorf befand. Dort verbrachte die Herde einen Großteil des Jahres nah an den Weiden.

rechts: ehemaliger Hofstall vom Hof 4/28, beide Giebel waren mit großen Toren versehen, um das Ausfahren des wertvollen Düngers zu ermöglichen (Bild: Archeokit).

Wenn im Mai oder Juni das Schafsscheren angesagt war, mussten die Schafe in einem Wassertümpel, der sich entlang des heutigen Wegs zum Kanal befindet, gründlich gewaschen werden. Die ganze Familie Albrecht/Meyer musste mit ins Wasser, und machte auch beim Schafscheren mit. Die lockere Wolle wurde gleich zum Spinnen für Eigenbedarf aussortiert. Die schwere Wolle wurde in Säcke gestopft. Dann musste diese Wolle nach Lüneburg zum Verkauf gebracht werden. Man ging damals selten in die Stadt. Was war das für eine Expedition! Das Pferd der Familie Albrecht hatte eine Höllenangst vor den Stadtgeräuschen und besonders vor dem Zug, es versuchte die ganze Zeit abzubiegen, um nicht nach Lüneburg zu müssen.
Ehemalige Schafschere (Bild Archeokit)
Dort konnte der Bauer Albrecht mit dem Geld Werkzeuge und Proviant (Zucker, Heringe …) kaufen und nach Hause bringen.
Auch wenn wir uns in der Lüneburger Heide befinden, sind die Schafe nicht unbedingt Heidschnucken gewesen. Ein Bild aus den 1930er Jahren zeigt eine Gifkendorfer Herde, die aus rheinischen Schafen mit weißem Kopf bestand.

Die Herden verschwanden allmählich nach dem Krieg, aber in den 1980er Jahren waren die Schafe plötzlich wieder da. Mehrere Zugezogene, die Familie Meyer und später Claus Ottmüller, begannen die Hobbyhaltung. Meyer kaufte 7 englische Schwarzkopf-Schafe in Klein-Bünstorf und hatte später zeitweise über 25 Tiere.

Im Jahr 2018 kam es zum traurigen Ende dieser Herde.
Seit ca. 2000 ist der Wolf in Deutschland wieder willkommen (der letzte Wolf wurde in Niedersachsen 1872 erschossen). 1998 wurde das erste Rudel in Sachsen gedultet. 2016 wurden die ersten Wölfe in unserer Region gesichtet, es waren Einzeltiere auf Wanderung, die auch mehrfach um Gifkendorf beobachtet wurden. Doch zunächst gab es keine Wolfs-Zwischenfälle, bis eines morgens Anfang Oktober im Jahr 2017 bei Meyer ein erstes von einem Wolf gerissenes Schaf auf der Weide lag. Der Wolfsberater empfahl, die Schafe für die Nacht im Stall einzusperren und sie nur am Tag weiden zu lassen. Da war er sicher, das Wolfsproblem in Gifkendorf gelöst zu haben. Zwei Wochen später, zweiter Angriff, diesmal am Tag, am Rand von Gifkendorf. Da wirkte der Wolfsberater besorgt und fragte ob, die Familie Meyer kleine Kinder hätte …

Frau Meyer war empört, erkundigte sich und erfuhr, dass es schon seit Wochen viele Tierrisse in der Region gegeben hatte. Wolfsberater, Hannoversches Wolfsbüro, NABU, Info-Abende in der Gemeinde, es war die Zeit der Kontaktaufnahmen und des Positionsaustausches. Die Landeszeitung berichtete wochenlang darüber.
Es prallten zwei Weltanschauungen aufeinander. Eine öko-romantische Politik, die darauf abzielte, den Wolf wieder in einer natürlichen Umgebung anzusiedeln, aus der er vor mehr als 150 Jahren verschwunden war, und die Bevölkerung auf dem Land, die die natürliche Umgebung im Alltag nutzte, bei diesem Thema aber kaum über Mitspracherecht verfügte. Die Politiker waren bereit, die von der Anwesenheit des Wolfes betroffenen Berufsschäfer zu unterstützen, die Hobbyhalter hingegen hatten in dem Konzept keinen Platz, ganz im Gegenteil. Da sich die Weiden der Hobbyschäfer oft am Rande der Siedlungen befanden, wurden sie bezichtigt, den Wolf (immerhin unfreiwillig) in die Siedlungen zu locken. Und so wurden sie für die negative Presse verantwortlich gemacht, die dem Projekt zur Wiederansiedlung des Wolfes in Deutschland schadete.

Unter diesen Umständen und unter dem Eindruck, dass bei der Landespolitik wenig Interesse an den akuten Problemen von Hobbyhaltern vorhanden war, gab die Familie Meyer nach dem Verlust eines dritten Schafes im Herbst des Folgejahres alle Ambitionen in der Schafhaltung auf. Schluss damit! Und so endete bis auf Weiteres die 800-jährige Tradition der Schafzucht in Gifkendorf.
Die Rinder sind auch weg, aber glücklicherweise gibt es ja noch Pferde …